Materialität und Idolatrie: Römische Imaginationen der heiligen Rosa von Lima
Forschungsbericht (importiert) 2017 - Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut für Kunstgeschichte
Bei der Missionierung der Neuen Welt dienten Kunstwerke dazu, den katholischen Glauben und den rechten Bilderkult zu verbreiten. Als Rosa de Santa María aus Lima 1668 seliggesprochen und 1671 kanonisiert wurde, musste ihre Ikonografie geschaffen und bekannt gemacht werden. Ein Gemälde von Lazzaro Baldi und eine Marmorskulptur von Melchiorre Cafà zeigen, wie das Machtverhältnis zwischen dem päpstlichen Rom und dem spanischen Lima künstlerisch verhandelt und dabei Fragen der Materialität und Idolatrie transkulturell ausgelotet wurden.
Anlässlich der Seligsprechung der mystisch inspirierten Jungfrau Rosa de Santa María (1586–1617), geboren als Isabel Flores de Oliva in Lima, der Hauptstadt des spanischen Vizekönigreichs Peru, wurden 1668 in Rom vor allem im Auftrag der Dominikaner große Feierlichkeiten abgehalten, zuerst in Sankt Peter, dann in der Ordensbasilika Santa Maria sopra Minerva. Dabei wurden nicht nur mit peruanischem Silber beschlagene Altäre und temporäre Aufbauten mit blumigen Motti und Emblemen aufgestellt, sondern auch ein Gemälde von Lazzaro Baldi (ca. 1624–1703) und eine Marmorskulptur des früh verstorbenen Melchiorre Cafà (ca. 1635–1667). Die beiden jungen, aufstrebenden Künstler haben mit ihren Bildwerken maßgeblich zur Etablierung der neuen Ikonografie der Rosa beigetragen.
Spiegel der Kolonialgesellschaft
Während die Skulptur Cafàs nach der Seligsprechung verschifft wurde, um sie dem Dominikanerkonvent von Lima zu übergeben, wurde das Gemälde (Abb. 1) 1671 dauerhaft in einer Kapelle der römischen Ordenskirche Santa Maria sopra Minerva aufgestellt, die von Baldi anlässlich der ebenso feierlich vollzogenen Heiligsprechung Rosas ausgestattet worden war. Baldis Darstellung kann als bewusster Versuch gedeutet werden, eine klare und vereinfachte Ikonografie der Heiligen zu etablieren, die das Bild ablösen sollte, das sich aus dem Volkskult der Heiligen in Lima entwickelt und das sich über spanisch-niederländische Kupferstiche verbreitet hatte.
Die erste lateinamerikanische Heilige und Patronin des neuen Kontinents erscheint bei Baldi als kreolische Repräsentantin der Kolonialmacht, die zu ihrer Linken von einem Paar peruanischer Indios und zu ihrer Rechten von einer Afroperuanerin und ihren Kindern verehrt wird. Damit wird nicht nur die rassische und moralische Überlegenheit der Kreolen über die indigenen und versklavten Völker signalisiert, sondern auch diejenige der sozial bessergestellten Schwarzen über die götzenanbetenden Ureinwohner, die hier von einer eucharistischen Erscheinung Jesu bekehrt werden. Die Kanonisierung der Rosa legitimierte diese kolonialen Verhältnisse.
Christliche Blüte in gottloser Wüste
Cafàs Skulptur (Abb. 2) inszeniert die Heilige auf einem steinernen Lager im Augenblick ihres Todes. Sie entschläft in ekstatischer Liebe zu Gott, die von einem Engel personifiziert wird, der ihre Glieder zurechtlegt, aus denen das Leben entweicht. Sowohl in der materialreichen Vita, die zum Anlass ihrer Kanonisierung publiziert wurde, als auch in den Lobschriften, die zeitgleich in Rom und europaweit verfasst wurden, wird Rosa als mystische Blume imaginiert, die in der Einöde Amerikas wächst, um das Unkraut der indianischen Idolatrie zu verdrängen.
Eine Rose, die sich aus dem Wüstenboden windet, symbolisiert die Unsterblichkeit der sich selbst zerstörenden Jungfrau, die Tag und Nacht und bis zum letzten Atemzug den Rosenkranz zu beten pflegte, der gleich von der Plinthe zu gleiten scheint. Der unter ihrem Schleier versteckte Dornenkranz verweist auf jenes stachelige Silberband, das sie sich zur Selbstmarterung aufsetzte und mit dem sie die koloniale Habgier kritisierte, die die Entdeckung und Ausbeutung der Silberminen von Potosí entfacht hatte.
Vergeistigung des Steins
Für Cafà bestand die künstlerische Herausforderung darin, den Akt des Sterbens, die Selbstauflösung der Rosa im Moment des Übergangs vom Leben zum Tod und schließlich zu höherem Leben ins Bild zu setzen. Dies entsprach dem Paradox aktiver Passivität der Heiligen, die begehrte, sich selbst aufzulösen, wie es eines der Motti auf den Punkt brachte, das anlässlich ihrer Kanonisierung verbreitet wurde.
Den harten Stein galt es so weich zu schlagen, dass er nicht nur lebendig erschien, sondern bereits die ersten Anzeichen der Starre verriet. Damit konnte der Bildhauer sich moralisch mit seinem Sujet messen, denn Rosa wurde die Fähigkeit zugesprochen, die steinernen Herzen der indigenen Heiden zu erweichen und ihnen den Glauben einzumeißeln.
Schiffbruch römischer Kunstpropaganda
Als Cafàs Werk 1670 den Hafen von Callao erreichte, schulterten die Bürger die Kiste und begleiteten sie feierlich bis nach Lima, wo die Skulptur im Rahmen großer Feierlichkeiten zu Ehren der heiligen Rosa in Santo Domingo aufgestellt wurde. Damit endet jedoch schon die Rezeptionsgeschichte dieses Meisterwerks barocker Bildhauerei. Erst im Jahr 1843 wurde die Skulptur von dem deutschen Künstler Johann Moritz Rugendas (1802–1858) abgezeichnet und schließlich 1947 kunsthistorisch als Cafàs Werk identifiziert.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Skulptur Cafàs in Lima Befremden auslöste. Sie bestand aus weißem Marmor, einem Stein, der in Südamerika nicht vorkommt. Zudem zeigt sie die Heilige in tödlicher Verzückung liegend, einer einfühlsamen Bildformel folgend, die gerade in Rom entwickelt worden war. Dies widersprach der devotionalen Sehgewohnheit im spanisch-kolonialen Lima, der wohl eher eine farbgefasste Standfigur aus Holz entsprochen hätte. Hier kollidierten zwei völlig unterschiedliche ästhetische Vorstellungen: auf der einen Seite die römisch-gegenreformatorische, in der die zu verehrende Figur – um dem Vorwurf der Idolatrie zu entgehen – auf die reine Form reduziert wurde, und auf der anderen eine lokale Ästhetik, die einem Götzenkult näherstand. Die römische Strategie, die örtlichen Eliten durch Kunst im rechten Kult zu unterweisen, sollte in Lima an den kulturellen Differenzen scheitern, und Cafàs Bildwerk blieb für Jahrhunderte übersehenes Strandgut der Kunstgeschichte