
Visualisierung von Wissenschaft in Medienrevolutionen
Die spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Wissenschaft war Zeuge zweier aufregender Entwicklungen: erstens wurden neue Mittel zur Übermittlung von Beobachtungen verfügbar, vor allem durch den Buchdruck, und zweitens entstanden neue Instrumente und Techniken zur Beobachtung der Welt. Mit anderen Worten: Die Wissenschaftler dieser Zeit blickten nicht nur in bis dahin unerforschte Winkel des Kosmos, sowohl in der Ferne als auch in der Nähe, sondern sie verfügten auch über neue Medien, mit denen sie das Gesehene darstellen und der Welt darüber berichten konnten. Diese Forschungsgruppe untersucht, wie diese Entwicklungen miteinander interagierten und dadurch eine neue Kultur der Visualisierung von Wissenschaft schufen.
Die Max-Planck-Forschungsgruppe "Visualisierung von Wissenschaft in Medienrevolutionen" untersucht, wie der technologische Wandel in der Frühen Neuzeit die Beobachtungsmöglichkeiten wissenschaftlicher Praktiken veränderte (man denke beispielsweise an die Entwicklung von Mikroskop und Fernrohr). Ebenfalls setzt sich die Gruppe mit der Art und Weise auseinander, wie wissenschaftliche Praktikerinnen und Praktiker diese Beobachtungen innerhalb ihrer intellektuellen Gemeinschaften visuell kommunizieren und validieren konnten (man denke an die gedruckten Medien, die sukzessiven Verfeinerungen der Drucktechniken und das Aufkommen neuer Kommunikationsmittel wie die wissenschaftliche Zeitschrift).
Die Forschungsgruppe hat bisher die Visualisierung sowohl als Endprodukt als auch als Präsentationsform wissenschaftlicher Forschung behandelt, deren Verbreitung und Zirkulation zunehmend von den Möglichkeiten der frühneuzeitlichen Drucktechnik profitierte. Die Arbeit der Forschungsgruppe konzentriert sich auf das späte Mittelalter und die frühe Neuzeit (ca. 1400–1800) und untersucht verschiedene wissenschaftliche Disziplinen, die von der Anatomie über die Astronomie bis hin zur Mikroskopie und der mathematischen Untersuchung der Musik reichen. Die Forschungsgruppe bietet dabei auch Ressourcen, um die aktuellen Veränderungen in der Visualisierung von Wissen im Zuge der laufenden digitalen Revolution zu reflektieren. Wir haben uns bisher mit vier zentralen Themen beschäftigt: "Diagramme in der Wissenschaft", "Medienrevolutionen und Bilder", "Übersetzung und die Welt der Frühen Neuzeit" und "Die Visualisierung des Unbekannten". In einer letzten Phase des Projekts wird die Forschungsgruppe ihren Schwerpunkt vom "Bild als Medium" auf das "Bild als Methode" verlagern. In dieser Phase werden wir Bilder nicht nur als Reproduktion dessen, was wir sehen oder was gesehen wurde, untersuchen, sondern, als Teil dessen, wie wir sehen; mit anderen Worten, das Bild ist ebenso sehr Prozess wie Produkt.
Methodisch pflegt die Gruppe einen sehr eklektischen Ansatz, wie es ihrem fachübergreifenden Profil (das Kunstgeschichte, Wissenschaftsgeschichte, Theaterwissenschaft, Musikwissenschaft, Sprachwissenschaft und weitere Bereiche umfasst) und ihrer transdisziplinären Zusammenarbeit (u. a. mit Biologen, Mathematikern, Architekten) entspricht. Der häufige Rückgriff auf vergleichende Methoden, oft in Kombination mit dem "slow looking" (eine visuelle Parallele zu dem, was in den textbasierten Disziplinen als "close reading" bekannt ist), ermöglicht uns, gemeinsame epistemische Merkmale in den Visualisierungsmethoden unterschiedlicher Bereiche wie der Anatomie und der Astronomie herauszuarbeiten. Diese Methoden wurden auch an Aspekte der Forschung der Forschungsgruppe angepasst, die in den Bereich der digitalen Geisteswissenschaften fallen und die Sammlung und Typologisierung von Bildsammlungen beinhalten. Historische Rekonstruktionesstudien und Zeichnungen sind ebenfalls Teil unserer Arbeit und haben uns für die Rolle sensibilisiert, die Bilder bei der Gewinnung von Erkenntnissen spielen, wodurch der Weg für die nächste Phase der Forschung zum "Bild als Methode" bereitet wurde.