Sommerresidenzen und herrscherliche Refugien um den Monte Vulture
Wohnkomfort und Naturerfahrung im spätstaufisch-frühangevinischen Süditalien
Die Residenzbildung im Hochmittelalter ist in ihrer baulichen Ausprägung wie den daraus ablesbaren historisch-kulturellen und geografischen Bezügen unvollständig erforscht. Für Süditalien liegen profunde Studien allein zu den normannischen bzw. spätstaufischen Residenzarealen um Palermo und Foggia vor.
Die in den waldreichen Gebieten Apuliens und der Basilikata gelegenen Anlagen von Lagopesole, Gravina und Palazzo San Gervasio, in Einzelaspekten auch Castel del Monte, bilden eine funktional wie geografisch aufeinander bezogene Gruppe von spätstaufisch-frühangevinischen Sommerresidenzen und naturnahen Rückzugsorten. Sieht man von Castel del Monte ab, fehlen detailliertere architektur- und funktionsgeschichtliche Untersuchungen weitgehend. Durch die Zusammenarbeit von KunsthistorikerInnen, BauforscherInnen und MediävistInnen erfahren diese Bauten erstmals eine interdisziplinäre, vergleichende Betrachtung. Schwerpunkt der Untersuchung ist Lagopesole als ein ungenügend erforschtes und frühes Beispiel einer stadtfernen, im Dialog mit der Landschaft stehenden Sommerresidenz. Zwischen 1242 und 1280 wurde dieser Bau vermutlich von Kaiser Friedrich II., gesichert von den Königen Manfred und Karl I. von Anjou genutzt.
Die Wohnkultur dieser Sommerresidenzen wird als Spiegel transkultureller Austauschprozesse im hochmittelalterlichen Europa, in Nordafrika und im östlichen Mittelmeerraum interpretiert. Dabei liegt der Forschungsschwerpunkt des Projekts auf dem wechselseitigen Verhältnis von Bauwerk und Landschaft. Hinzu kommen Interpretationen im Sinne der politischen Ikonografie (Architektur als „Herrschaftszeichen“). Methodische Grundlagen des Projekts sind die Historische Bauforschung, das präzise Beobachten, Vermessen und Zeichnen eines Bauwerks, eingehende Befunduntersuchungen sowie die Sichtung und Bearbeitung der einschlägigen historischen Quellen. Sie bilden die unverzichtbare Basis für die Behandlung der folgenden funktionsgeschichtlichen Problemstellungen:
- Zeremoniell, Festkultur und Müßiggang (u.a. Inszenierung von Naturwahrnehmung durch hochgelegene Festsäle mit weiten Öffnungen; körperliche und geistige Erholung; Jagd in den angrenzenden wildreichen Wäldern);
- residenzspezifischer Wohnkomfort (Appartement-Folgen mit Rückzugsräumen, Palas mit Festsaal, Wehrhaftigkeit und Nutzung des Bergfrieds, Kapellen, Heizbarkeit der Räume, Badeanlagen, Toiletten mit integrierter Lüftungs- und Abwasserregulierung, Indizien für soziale Distinktion);
- Wirtschaft, Transportlogistik und Verpflegungsfrage der Anlagen (Straßennetz, planmäßiges Befischen nahegelegener Seen, Wasserleitungen, Zisternen, Stallungen).
Die Bauskulptur Lagopesoles definiert die höfischen Nutzungskontexte und den Landschaftsbezug mit, weshalb ihre umfassende Präsentation und europaweite Kontextualisierung im Projektkontext unverzichtbar sind.