Europabilder außerhalb Europas
Ausgangspunkt des Forschungsprojekts, dessen Ergebnisse in Form einer Ausstellung mit Katalog und wissenschaftlichem Begleitband präsentiert werden sollen, ist ein Europakonzept, das Europa nicht als homogene und stabile Entität, sondern als relationale Größe begreift, die ein Außen, ein Anderes braucht, um sich über sich selbst zu verständigen. Genau diese Art der Selbstverständigung erzeugt jedoch auch Außenperspektiven, die hier im Fokus stehen – sei es in Form kongolesischer Elfenbeinschnitzereien, japanischer Holzschnitte oder indischer Miniaturmalereien.
Ziel des interdisziplinär ausgerichteten Unterfangens ist es, den mit ungleich höherer Frequenz diskutierten und in der aktuellen politischen Debatte einmal mehr auf dem Prüfstand stehenden Selbstbildern Europas besagte Fremdbilder weniger entgegen als vielmehr beiseite zu stellen, um ein komplexeres oder facettenreicheres Gesamtbild zu erhalten und über die Diskussion besagter Fremdbilder auch das Selbstbild infrage zu stellen oder zumindest neu zu justieren. Ausdrücklich betont sei, dass eine solche Untersuchung der Außenblicke auf Europa nicht im Sinne einer Nabelschau und damit im Sinne eines lediglich verschobenen oder delegierten Eurozentrismus zu verstehen ist, der alles Außereuropäische weiterhin als Peripherie begreift. Intendiert ist vielmehr, Europa zu "provinzialisieren" (Dipesh Chakrabarty, in: Jenseits des Eurozentrismus, Frankfurt am Main 2013), das heißt den Blick auf Europa zu facettieren oder gar zu fragmentieren und die so erhaltenen unterschiedlichen Blicke und Positionen gleichberechtigt nebeneinanderzustellen, um synchron wie diachron ein möglichst vielgestaltiges Europabild zu gewinnen, das sowohl die Interdependenz als auch die Permeabilität von Fremd- und Selbstbildern aufzeigt. Zu diesem Zweck soll erstmals das in den verschiedenen Altertums-, Kultur- und Kunstwissenschaften bereits Erarbeitete, bislang vonseiten einer sich auf Europa und Nordamerika konzentrierenden Kunstgeschichte aber kaum oder nur beiläufig zur Kenntnis Genommene sowohl gebündelt als auch gemeinsam debattiert, validiert, erweitert oder ausdifferenziert werden. Ziel ist es entsprechend und nicht zuletzt, einen substanziellen Beitrag zu einer sich relational verstehenden Kunstgeschichte zu leisten sowie die bestehende Debatte um die Vorzüge und Gefahren einer 'Global Art History' um eine ebenso fokussierte wie konzertierte Polyphonierung zu bereichern, die anknüpfend an jüngere Entwicklungen in den Geschichtswissenschaften als "Entangled Art Histories" bezeichnet werden soll.
Publikationen (Auswahl)
Matthias Weiß, "Cytherian China", in Reading Objects in the Contact Zone, hg. v. Eva-Maria Troelenberg, Kerstin Schankweiler u. Anna Messner, Heidelberg 2021, S. 67–72, open access, DOI: https://doi.org/10.17885/heiup.766.
Matthias Weiß, "Entangled Histories", in Reading Objects in the Contact Zone, hg. v. Eva-Maria Troelenberg, Kerstin Schankweiler u. Anna Messner, Heidelberg 2021, S. 221–223, open access, DOI: https://doi.org/10.17885/heiup.766.
Matthias Weiß, "Europerie", in Reading Objects in the Contact Zone, hg. v. Eva-Maria Troelenberg, Kerstin Schankweiler u. Anna Messner, Heidelberg 2021, S. 223–224, open access, DOI: https://doi.org/10.17885/heiup.766.
Matthias Weiß, "Gottesmutter oder Muttergöttin, schwarz oder weiß? Oder: Warum sich Beyoncé Pregnant with Twins als Plädoyer für Verflechtungs-Kunst-Geschichten lesen lässt", Kritische Berichte 47/1, 2019, S. 45-57.
Wechselblicke. Zwischen China und Europa 1669–1907. Für die Kunstbibliothek – Staatliche Museen zu Berlin, hg. v. Matthias Weiß, Eva-Maria Troelenberg u. Joachim Brand. Petersberg 2017. Beiträge von: Cordula Bischoff, Wang Ching-Ling, He Feng, Claudia Kanowski, Wang Lianming u. Matthias Weiß.
Matthias Weiß, "Weiße Frau in wessen Kleid? Alte und neue Betrachtungen zur Odaliske anlässlich der bemalten Fotografie "Legend" von Pierre et Gilles" in Um/Ordnungen. Fotografische Menschenbilder zwischen Konstruktion und Destruktion, hg. v. Klaus Krüger, Leena Crasemann u. Matthias Weiß, München 2010, S. 193–218.
Matthias Weiß, "Madonna im Kimono. Hybridität und Transgression in den japanoiden Videoclips "Nothing Really Matters", "Paradise (Not For Me)" und "Mer Girl"", Differenz – Transgression – Hybridisierung. Zum kulturellen Umgang mit Grenzen, hg.v. Hans Rudolph Velten u. Kathrin Audehm, Freiburg 2007, S. 249–271.