Mapping Sacred Spaces
Forms, Functions, and Aesthetics in Medieval Southern Italy
Im Laufe der Jahrhunderte und insbesondere als Folge der Liturgiereformen der katholischen Kirche (Konzil von Trient und Zweites Vatikanisches Konzil) wurden mittelalterliche Sakralbauten auf der italienischen Halbinsel allmählich zu Einheitsräumen umgeformt, in denen es keine Binnenräume mehr gibt, die durch visuelle und materielle Barrieren voneinander abgegrenzt werden. In deutlichem Gegensatz dazu beruhte die physische Wahrnehmung des Sakralen in den Kirchen des Mittelalters auf dem expliziten architektonischen Wechselspiel zwischen Binnenstrukturen und Leerräumen, sowie auf dem Verhältnis zwischen der Einbeziehung in und dem Ausschluss aus heiligen Bereichen (wobei stets ein gewisses Maß an Durchlässigkeit gegeben war) sowie auf der Ästhetik von Material- und Bildsprachen.
Ziel des Projektes ist eine umfassende Analyse christlicher Sakralräume und liturgischer Praktiken des Mittelalters in Süditalien. Der Mezzogiorno war während des gesamten Mittelalters durch den dynamischen Austausch verschiedener Kulturen, Religionen und künstlerischer Traditionen geprägt. Im Rahmen des Projekts soll dieser Raum innerhalb seiner europäischen und mediterranen Kontexte untersucht werden, wobei besonders die Regionen und Akteure von Interesse sind, die mit Süditalien in vielfältigen kulturellen und politischen Austauschprozessen standen, nämlich Rom und das Patrimonium Petri sowie Byzanz und die Küstenregionen Nordafrikas.
Was die Rekonstruktion von sakralen Räumen und liturgischen Ausstattungen angeht, ist Süditalien noch weitgehend unerforscht; insbesondere fehlen bislang vertiefende Analysen der Interaktionen zwischen Raum, Bild und kultisch-ritueller Handlung. Die Einbindung digitaler Technologien in die archäologische und kunsthistorische Praxis bietet sich heute für eine genaue Rekonstruktion und Analyse der Orte besonders an. Das Projekt verfolgt daher einen historisch sowie archäologisch angelegten Forschungsansatz, der darauf abzielt, die erfassten Daten in einer Datenbank zu systematisieren und Hypothesen zur Rekonstruktion von Sakralräumen in ihren mittelalterlichen Ausprägungen zu formulieren. Auf dieser Basis werden neue Interpretationen ästhetischer Phänomene, ritueller Praktiken sowie der Verhaltensmuster und Wahrnehmungen verschiedener Akteure im Raum möglich.
Die liturgische Ausstattung – fast vollständig verschwunden oder, in ihre Einzelteile zerlegt, nur als fragmentarische Fundstücke überliefert – spielte eine entscheidende Rolle bei der Schaffung architektonischer Binnenräume und konditionierte die Wahrnehmung des Sakralen. Die Rekonstruktion und Analyse dieser Ausstattungen gehören daher zu den vorrangigen Zielen des Projekts, denn nur so wird eine historische Einordnung der räumlichen Kontexte und der an sie gebundenen rituellen Handlungen möglich. Aufbauend darauf soll die Dynamik der Wechselbeziehungen zwischen dem Sakralraum und der Gesellschaft untersucht werden, indem – ausgehend von der Topographie und Topologie von Kapellen und Grabmälern – die sozio-historische Präsenz innerhalb und außerhalb des sakralen Raums analysiert wird.
Einen zentralen Bestandteil des Projekts bildet der Aufbau eines Korpus zur liturgischen Ausstattung und den ihr zugehörigen Elementen in mittelalterlichen Sakralbauten Süditaliens, der künftigen Forschungen zum Mezzogiorno und darüber hinaus als Grundlage dienen und vertiefende Informationen zu Materialien, Techniken, Formen, Funktion und Nutzung, Bildmotiven sowie Schriftquellen bereitstellen wird. Für die Sakralräume ausgewählter Bauten wird darüber hinaus eine digitale Rekonstruktion mit Hilfe einer mehrdimensionalen 3D- und 4D-Modellierung realisiert. Alle dabei erhobenen Daten werden in eine digitale Karte eingebunden, in der sich der Betrachter von der Makroebene (Region) zur Mikroebene (einzelne Bestandteile der liturgischen Ausstattung) frei bewegen kann.